Ein Interview mit Dr. Urs Schneider, Bereichsleiter "Medizin- und Bioproduktionstechnik" des Fraunhofer Instituts IPA
20.01.2023
Personen, die mithilfe von Roboteranzügen ihre Arbeit verrichten, sind längst kein Grund zur Verwunderung mehr und in zahlreichen Betrieben Normalität. Auch wenn die Exoskelett-Branche noch jung ist, sind ihre neuesten Entwicklungen aus vielen Feldern und Anwendungsbereichen der Industrie kaum wegzudenken. Mit Dr. Urs Schneider, Bereichsleiter "Medizin- und Bioproduktionstechnik" des Fraunhofer Instituts IPA, haben wir über den Status quo und Evidenzen gesprochen, aber auch einen ersten Blick in die Zukunft geworfen.
Egal ob jung oder alt – Exoskelette entlasten Mitarbeitende mit unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen und halten langfristig gesund. Das zeigt auch die Forschung.
Herr Dr. Schneider, inwiefern werden Exoskelette in der Industrie zur Prävention von gesundheitlichen Schäden eingesetzt?
Dr. Urs Schneider: Exoskelette werden zum Beispiel in der Intra- und Verkehrslogistik für rückenschonendes Heben eingesetzt, beim Überkopf-Arbeiten in der Montage, in der Wartung, im Bauhandwerk oder beim Schweißen.
Kann das in der Anwendung auch für jüngere, fitte Arbeitnehmende sinnvoll sein?
Schneider: Wir gehen davon aus, dass diverse Rücken- oder Schulterschmerzen und ähnliche Schäden im mittleren Alter durchaus bereits im Alter zwischen 16 und 20 ursächlich erworben wurden. Bei bekannt schweren Tätigkeiten mit bekannt hohen Krankheitsfolgen ist die Primärprävention mit Exoskeletten bei jungen Menschen sicher vernünftig.
Dr. Urs Schneider, Bereichsleiter "Medizin- und Bioproduktionstechnik" Fraunhofer Institut IPA
Welche Art von Evidenzen gibt es bisher für die Wirksamkeit von Exoskeletten in der Industrie?
Schneider: Toyota USA und Ford USA konnten in separaten Studien nachweisen, wie über mehrere Jahre gemessen die Krankheitskosten der Werkenden in bestimmten Produktionsstraßen mit Exoskeletten sinken. Wir konnten 2021 und 2022 in der Exoworkathlon-Studie an circa 90 Werkenden zeigen, wie das Arbeiten mit präventiven Exoskeletten die körperliche Arbeit subjektiv signifikant entlastet.
Auch an über 40 Schweißarbeitenden konnten wir im Jahr 2022 messen und publizieren, wie die Kreislaufbelastung mit passiven Schulter-Exoskeletten signifikant reduziert wird – zudem steigt die Qualität der Schweißnaht. Schweißen ist eine feinmotorisch sehr anspruchsvolle, statische Arbeit. Hier können Schulter-Exoskelette die grobe Kraft entlasten.
Monotone Überkopf-Arbeiten wie bei der Automobilmontage können auch von einer Unterstützung durch Exoskelette profitieren.
Inwiefern gibt es aktuell noch Herausforderungen bei der Integration von Exoskeletten in die Industrie?
Schneider: Die Exoskelett-Industrie ist jung und bemüht sich sehr, den unterschiedlichen Tätigkeiten und Beanspruchungen gerecht zu werden. Ich gebe allerdings zu bedenken: Bei körperlich hochvariablen Tätigkeiten ohne monotone Phasen können Komfort, Akzeptanz und Spüren des Vorteils begrenzt sein.
Welche Entwicklungen sind in Bezug auf Exoskelette in der Industrie zu erwarten?
Schneider: Ich sehe Entwicklungspotenzial in vielen Feldern: sowohl bei aktiven, mit gesonderter Energiequelle betriebenen als auch bei passiven, mit einer Federmechanik ausgestatteten sowie bei textilbasierten und auch bei hybriden Systemen. Sie werden immer besser angepasst, leichter und adaptiv unterstützender.