Die Gesundheit ihrer Mitarbeiter steht bei Unternehmen hoch im Kurs. Zurecht. Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel sowie alternde Belegschaften stärken die Rolle des Betrieblichen Gesundheitsmanagements: Unternehmen und Krankenkassen investieren zunehmend, um Krankheiten vorzubeugen. Erfolgreiche Strategien und Präventionsangebote werden im Themenbereich „Corporate Health“ der A+A 2019 in Düsseldorf vorgestellt. Die international führende Fachmesse mit Kongress für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit findet vom 5. bis 8. November 2019 statt. Bei dem begleitenden Kongress tauschen sich in rund 50 Veranstaltungsreihen hochrangige Expertinnen und Experten aus Politik, Forschung und der Praxis des Arbeits- und Gesundheitsschutzes aus.
Wie wichtig es ist, die Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Unternehmen zu erhalten, das zeigen aktuelle Zahlen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aus der Publikation „Arbeitswelt im Wandel 2019“. Über alle Branchen hinweg wurden im Jahr 2016 159 Krankmeldungen je 100 Mitgliedsjahre in den Gesetzlichen Krankenkassen verzeichnet. Im Durchschnitt waren die Betroffenen zwölf Tage krank – besonders häufig im produzierenden Gewerbe (ohne Baugewerbe) und in der Land- oder Forstwirtschaft und Fischerei, gefolgt vom Dienstleistungsgewerbe.
Um Erkrankungen vorzubeugen, leisten Krankenkassen einen steigenden finanziellen Beitrag und erreichen mit dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement immer mehr Menschen laut aktuellem Präventionsbericht des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) für das Jahr 2017 (erschienen 12/2018). So half die GKV 1,9 Millionen Beschäftigten in 18.000 Betrieben; im Vergleich zum Vorjahr sind dies 29 Prozent mehr Mitarbeiter und 35 Prozent mehr Betriebe. Monetär investierten die Krankenkassen in Summe 158 Mio. Euro in Betriebliches Gesundheitsmanagement. Das bedeutet eine pro-Kopf-Ausgabe von 2,19 Euro je Versicherten - was mehr ist, als die gesetzliche Vorgabe besagt. Diese liegt bei 2,05 Euro pro Person.
„Gute Arbeitsbedingungen und Gesundheitsförderung gewinnen in den Unternehmen seit Jahren an Bedeutung. Treiber sind der Fach- und Arbeitskräftemangel sowie eine alternde Erwerbsbevölkerung. Für die meisten Tätigkeiten müssen Arbeitgeber heute mehr als Standard bieten, um Arbeitskräfte zu bekommen oder zu halten. Dazu gehört auch ein Betriebliches Gesundheitsmanagement“, sagt Bruno Zwingmann, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, Basi, die sich federführend für den A+A Kongress 2019 verantwortlich zeichnet. Das Thema Betriebliches Gesundheitsmanagement wird beim Kongress unter anderem in einer großen Veranstaltung mit den Krankenkassen zur regionalen Gesundheitskooperation diskutiert, weitere Informationen zu den Kongressthemen gibt es unter basi.de.
Zu den Pionieren im Bereich Corporate Health zählt das Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) in Köln, das zur AOK Rheinland/Hamburg gehört und mit dem AOK-Bundesverband an der A+A 2019 teilnimmt. „Wir sind vor mehr als 20 Jahren mit einzelnen Maßnahmen wie einer Rückenschule gestartet - und bieten heute ein breites Spektrum an, das Themen wie Ernährung, Bewegung, Stress und psychische Belastungen umfasst“, sagt Geschäftsführer Andreas Schmidt. Firmen können, seiner Meinung nach, die Betriebliche Gesundheitsförderung heute kaum noch ignorieren, wenn sie im Wettbewerb bestehen wollen. Dabei gehe es um nachhaltige Angebote, die der Gesundheit der Mitarbeiter zugutekommen. „Und der Präventionsleitfaden der Gesetzlichen Krankenkassen schreibt vor, dass die Krankenkassen keine isolierten Maßnahmen fördern dürfen, die eine Nachhaltigkeit ausschließen.“
Das BGF-Institut unterstützt Unternehmen dabei, ein strukturiertes System des Betrieblichen Gesundheitsmanagements zu entwickeln, in das auch der Arbeitsschutz und das Betriebliche Eingliederungsmanagement nach Erkrankungen einbezogen werden müssen.
Schmidt: „Um Nachhaltigkeit zu erzielen, bilden wir beispielsweise Bewegungsscouts aus, die die in einem Rückentraining erlernten Verhaltensänderungen verstetigen sollen. Nachdem sich ein Rückentrainer die Arbeitsplätze im Unternehmen angeschaut und dafür mit den Betroffenen maßgeschneiderte Übungen trainiert hat, soll ein Mitarbeiter als Bewegungsscout seine Kollegen dazu motivieren, am Ball zu bleiben und das Erlernte in den Arbeitsalltag zu integrieren.“ Webbasierte Angebote, die man sich herunterladen oder auf seinem Smartphone ansehen kann, sind als Unterstützung gedacht: Das BGF-Institut hat beispielsweise mit „Froach“ einen animierten Frosch im Angebot, der als digitaler Begleiter für mehr Bewegung, Regeneration und Entspannung am Arbeitsplatz sorgen soll (froach.de).
„Unser Ziel ist es aber, nicht nur das Verhalten, sondern auch die Verhältnisse zu ändern“, erläutert BGF-Experte Schmidt. Er spricht davon, dass der Sitzungsraum zum „Stehungsraum“ umgewidmet werden kann - mit einem Stehtisch, an dem die Gespräche nicht nur gesünder, sondern auch kürzer und effizienter geführt werden. Aber es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, die Arbeitsorganisation und die Verhältnisse am Arbeitsplatz zu gestalten: „Gesunde Führung in der digitalen Arbeitswelt verlangt zum Beispiel, dass Werte vermittelt werden, die es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglichen, Sinn in ihrer Tätigkeit innerhalb einer globalisierten Arbeitswelt zu sehen.“ Dies trifft insbesondere für eine hochgradig vernetzte Arbeitswelt zu, in der Projektarbeit einen neuen Stellenwert gewinnt. Damit solche Ziele durch ein Betriebliches Gesundheitsmanagement erreicht werden können, sollten nach Ansicht der Akteure der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) bestimmte Qualitätskriterien bei der Beratung gelten: Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Vorgehensweisen müssen in Abstimmung mit dem Arbeitsschutz umrissen werden. Um die Qualität von „Corporate Health“ wird es bei der A+A 2019 am Stand der DGUV in Halle 10 gehen, an dem sich auch die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen vorstellen. In Halle 10 stellt auch die B A D Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH ihr großes Angebot für Kleinst- und Kleinbetriebe vor.
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) muss noch professioneller werden – diese Meinung vertritt Oliver Walle, Sprecher des Bundesverbandes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BBGM). Er hat die Erfahrung gemacht: „Viele Geschäftsführer müssen nicht mehr nur mit einer Kosten-Nutzen-Analyse überzeugt zu werden, sondern benötigen Unterstützung, um BGM in ihrem Unternehmen umzusetzen.“ Dass das Bewusstsein der Notwendigkeit von BGM gestiegen ist, führt Walle auch auf die Entwicklung im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Wertewandel und Arbeiten 4.0 zurück: „Immer mehr Mitarbeiter empfinden es als normal, flexibler arbeiten zu können und sich somit auch besser um die Familie zu kümmern. E-Mails und Telefonate können auch mal von zu Hause aus erledigt werden. In solchen Fällen stellt sich aber die Frage: Wie ergonomisch ist das Homeoffice eingerichtet und wie wirkt sich die ständige Erreichbarkeit aus?“ In der industriellen Fertigung werde es dagegen als belastend empfunden, sich weniger zu bewegen und gleichzeitig hochkonzentriert aufpassen zu müssen, dass die Maschinen richtig laufen. „Wir haben es also mit unterschiedlichen Belastungsprofilen zu tun und das Betriebliche Gesundheitsmanagement muss individuell darauf zugeschnitten werden“, sagt der Experte.
So genannte Gesundheitsmanager können dafür zuständig sein, Corporate Health bzw. BGM im Firmenalltag zu organisieren und zu begleiten. Für die Ausbildung von BGM-Fachkräften und -Managern hat der BGM mehrstufige Ausbildungskriterien entwickelt und ein Curriculum definiert. Die geschulten Experten können als Dienstleister in der Beratung, als interne Gesundheitsmanager, aber auch als weitergebildete Mitarbeiter von Krankenkassen für eine gute Qualität des BGM sorgen. „Seit 2013 zertifiziert unser Bundesverband Hochschulen und andere Ausbildungsstätten, die eine solche Ausbildung anbieten – jetzt wurden die Kriterien überarbeitet und dabei auch digitale Lösungen einbezogen“, erklärt Oliver Walle. Als Beispiel für digitale Lösungen nennt er Apps im Zusammenspiel mit Sensoren, wie etwa bei Schrittzählern, mit denen im Team Wettbewerbe veranstaltet werden. Allerdings hat sich laut dem Spezialisten gezeigt: Es kann kein ausschließlich digitales Betriebliches Gesundheitsmanagement geben, man muss auch analog planen und überprüfen, ob etwas funktioniert und von Fall zu Fall nachbessern. „Das bedeutet: Klassisches BGM mit digitaler Unterstützung, die nutzerorientiert ist und gezielt hilft, Probleme zu lösen.“ So sollen auch Risikogruppen erreicht werden – wie zum Beispiel Mitarbeiter, die in der Güterwageninstandhaltung bei der Deutschen Bahn arbeiten. Hier vergab der BGM auf dem BGM-Summit letztes Jahr den Nachwuchsinnovationspreis für ein Projekt der Bahn, bei dem die Mitarbeiter über ein Tablet von einem Physiotherapeuten gezeigte Übungen nachmachen sollten. Walle: „Das funktioniert, ihr Verhalten ändert sich zugunsten der Gesundheit.“
Um frühzeitig einzugreifen, gelte es laut dem Spezialisten, etwa mithilfe von Apps oder Sensoren ein Risikoprofil herauszufinden und Mitarbeiter anzusprechen – damit sie gar nicht erst krank werden, sondern ihr Verhalten vorab gesundheitsförderlich ändern. „Hierbei ist zu prüfen, wie im Rahmen der Arbeitszeit Freiräume für Bewegungspausen und solche Übungen wie die bei der Bahn geschaffen werden, ohne dass dabei die Produktivität leidet“, sagt Oliver Walle. Die Bereitschaft hierfür steigt nach seinen Worten, auch wenn manche Unternehmenschefs noch zögerlich seien.
Dass schon kleine Veränderungen, die nicht viel kosten, viel zugunsten der Fitness im Arbeitsalltag bewirken können, diese Erfahrung hat Dorothée Remmler-Bellen gemacht. Sie ist Studienleiterin und Dozentin sowie Mitglied im Dachverband Freie Gesundheitsberufe, der auf der A+A 2019 unter anderem Übungen für die Praxis im Betrieb vorstellen wird. „Es reicht schon, sich darüber bewusst zu werden, wann man eine kleine Pause braucht und sich etwas Gutes tun sollte. Dann macht man vielleicht Qi Gong oder eine Entspannungsübung. Möglich sind auch Achtsamkeits- und Genussübungen, bei denen zum Beispiel ein Stück Schokolade mit hohem Kakaoanteil im Mund zergeht, während fünf Minuten lang über den Kakaoanbau meditiert wird“, erklärt die Expertin, die mit solchen Beispielen kleinen Betrieben die Sorge nimmt, dass „Corporate Health“ automatisch mit viel Aufwand, Zeit und Geld verbunden ist. „Wichtig ist es, alle Beteiligten einzubeziehen, Prozesse anzustoßen, diese zu begleiten und sich dann langsam aus dem laufenden Betrieb herauszuziehen“, sagt Remmler-Bellen und erzählt von den Hamburger Müllwerkern, die oft krank waren und unter Rückenschmerzen litten: „Das besserte sich erst, als die Teams selber darüber entscheiden durften, wer welche Aufgabe übernimmt. Die Menschen bekamen das Gefühl, gebraucht und gehört zu werden, statt nur Erfüllungsgehilfen zu sein.“ So habe sich deutlich gezeigt, dass auch seelische Belastungen zu den Ursachen für Rückenschmerzen zählen können. Um die richtige Lösung für die Probleme eines jeweiligen Betriebes zu finden, sind laut Dorothee Remmler-Bellen manchmal nur zwei bis drei Sitzungen notwendig – manche Prozesse laufen aber auch über ein Jahr hinweg.
Es braucht zuweilen Zeit, bis sich die Belegschaft daran gewöhnt hat, lieber Lachs unter der Kürbishaube oder einen leckeren Linseneintopf statt der Currywurst mit Pommes frites zu essen. Das weiß Susanne Leitzen, die bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) im Referat Gemeinschaftsverpflegung und Qualitätssicherung das Angebot »JOB&FIT - Mit Genuss zum Erfolg!" betreut. »JOB&FIT« (jobundfit.de) ist Teil der Initiative IN FORM für gesunde Ernährung und mehr Bewegung (in-form.de) - die DGE hat in diesem Rahmen den »DGE-Qualitätsstandards für die Betriebsverpflegung« entwickelt, der auch auf der A+A 2019 vorgestellt wird. Viele Betriebe richten sich bereits danach; etwa 240 davon haben sich für ihr gesundheitsförderndes Angebot im Betriebsrestaurant zertifizieren lassen. Doch wie schafft man es, selbst notorischen Fleischessern Salat und Gemüse schmackhaft zu machen? »Die Verhältnisse auf dem Teller müssen stimmen - also eher mehr Gemüse und
Sättigungsbeilagen als Fleisch«, sagt Susanne Leitzen. Zusätzliche Anreize: Ein Menü wird ausdrücklich als gesundheitsförderlich gekennzeichnet und ist in der Kantine schnell verfügbar, zudem können Probierportionen und das Menü eventuell günstiger als andere Gerichte angeboten werden. Das Küchenpersonal sowie die Servicekräfte sollten, so Leitzen, geschult werden, so dass sie hinter dem Konzept stehen und auch gezielt Gerichte empfehlen. Werden besonders viele Menschen vom gesundheitsfördernden Menü überzeugt, sollte das auch belohnt werden - zum Beispiel, indem die gesamte Küchenmannschaft zu einem Ausflug eingeladen wird. Leitzen: »Natürlich muss man auch die Tischgäste informieren, ihnen zum Beispiel mit Flyern und Newslettern erklären, weshalb ihnen heute beim Mittagstisch ein Gericht mit Hülsenfrüchten kredenzt wird - nämlich zum Beispiel, weil diese reich an Eiweiß und Ballaststoffen sind und lange satt machen.« Nicht zuletzt empfiehlt die DGE, das Speisenangebot zielgruppenspezifisch auszurichten und für weitere Informationen zum Thema Essen mit regionalen Lieferanten und Ernährungsberatern zusammenzuarbeiten. Denn schließlich mag der Hamburger meist ganz andere Gerichte als der Münchner.
Vorsicht ist geboten, wenn jemand meint, dass zu einem guten Essen immer Alkohol gehört: Das Rausch- und Suchtmittel spielt eine große Rolle in der Arbeit der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), die bei der diesjährigen A+A zum ersten Mal dabei ist. Dr. Peter Raiser, Referent für Grundsatzfragen bei der DHS: „Wir starten regelmäßig Aktionswochen, um darauf aufmerksam zu machen, dass Arbeiten und Alkohol nicht zusammenpassen.“ Christina Rummel, stellvertretende Geschäftsführerin, ergänzt: „Alkohol spielt bei jedem fünften Arbeits- und Wegeunfall eine Rolle und mit zunehmendem Konsum fehlen Beschäftigte auch häufiger am Arbeitsplatz.“ Inzwischen gebe es in vielen großen Unternehmen ein betriebliches Suchtprogramm, erklärt Peter Raiser – es gelte jedoch, mit sinnvollen Strategien und Vorbeugemaßnahmen auch kleine Betriebe zu erreichen und zu unterstützen. Mitglieder der Dachorganisation DHS sind 23 Verbände der Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe. Sie stehen unter anderem für 1400 ambulante Einrichtungen und Beratungsstellen, die Arbeitgebern helfen, individuelle Lösungen zu finden. Suchtprävention gehört zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement dazu – denn schließlich wird ein Alkoholproblem in vielen Fällen auch durch Stress und psychische Belastungen verursacht. In diesem Zusammenhang beobachtet Peter Raiser einen Wandel in den Unternehmen: „Was früher ein Tabu-Thema war, wird heute offen angesprochen. Es geht darum, Suchterkrankungen vorzubeugen und funktionierende Hilfsangebote zu machen.“
Autorenhinweis: Natascha Plankermann, Journalistin mit Schwerpunkt Gesundheit & Medizin, Medien-Referentin bei der Basi, Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit.