A+A: Herr Dr. Fasshauer, persönliche Schutzausrüstung ist das Fundament des Arbeitsschutzes. Die DGUV begleitet die Entwicklung smarter PSA und begleitet deren Einsatz in der Arbeitswelt. Welche Innovationen sehen Sie derzeit mit dem größten Nutzen für die Praxis?
Dr. Stephan Fasshauer: Am spannendsten sind für mich Innovationen, die den Arbeitsalltag wirklich erleichtern und nicht nur technisch brillant sind. Smarte Helme, die Vitalfunktionen messen oder Warnsignale bei Hitze oder Gasen geben, sind ein Beispiel.
Auch intelligente Schutzkleidung, die Belastungen dokumentiert, eröffnet neue Möglichkeiten der Prävention. Entscheidend ist: Technik darf nicht zum Selbstzweck werden, sondern muss Beschäftigte konkret unterstützen – unkompliziert, verlässlich und sicher.
A+A: Künstliche Intelligenz gilt als Gamechanger in der Arbeitswelt und im Arbeitsschutz – auch die DGUV hat KI als Toptrend in ihrem Risikoobservatorium identifiziert und bietet Beratung über das Kompetenzzentrum KI & Big Data. Wird KI zum Sicherheitsnetz der Zukunft oder birgt sie selbst neue Gefahren?
Dr. Stephan Fasshauer: KI ist beides: Chance und Herausforderung. Sie kann Arbeit sicherer machen, etwa indem sie Gefährdungen schneller erkennt oder komplexe Daten in der Prävention auswertet. Gleichzeitig entstehen neue Risiken – von der Abhängigkeit von Algorithmen bis zu ethischen Fragen. Wir müssen beispielsweise aufpassen, dass KI nicht zu einer schleichenden Dequalifizierung führt, die uns auf die Füße fällt, wenn die Technik ausfällt. Die DGUV sieht ihre Aufgabe darin, Orientierung zu geben: Wir wollen, dass KI nicht zur Blackbox wird, sondern transparent, nachvollziehbar und fair zum Einsatz kommt. Wir wollen mit KI gestalten und wir haben aufgrund unserer Einmaligkeit auch die Aufgabe, dies zu tun.
A+A: Innovationen wie Exoskelette oder smarte PSA stoßen in Betrieben oft auf Skepsis...
Dr. Stephan Fasshauer: Skepsis ist normal – neue Technologien verändern Routinen, und da wollen Beschäftigte wie Arbeitgeber wissen, ob sich der Einsatz lohnt. Wir begleiten Innovationen deshalb sehr praxisnah: durch Studien, Pilotprojekte und Beratung, die direkt im Betrieb ansetzen. Vertrauen entsteht auch dadurch, dass wir als neutraler Berater Rückmeldung geben, ob eine neue Technologie die an sie gestellten Erwartungen auch einlösen kann.
A+A: Psychische Belastungen sind kein Modethema, sondern Realität vieler Beschäftigter. Die DGUV integriert sie zunehmend in Präventionskonzepte. Wie gelingt es, dieses Thema gleichwertig neben klassischen physischen Risiken zu verankern?
Dr. Stephan Fasshauer: Das Wichtigste ist, psychische Belastung nicht als Sonderthema zu betrachten, sondern als integralen Bestandteil von Sicherheit und Gesundheit. Ob Lärm, Staub oder Stress – alles sind Belastungen, die wir ernst nehmen. Wir entwickeln deshalb Instrumente, die psychische Faktoren genauso systematisch erfassen wie physische Risiken. Und wir setzen stark auf Kommunikation: Beschäftigte müssen das Gefühl haben, dass über psychische Belastung und ihre Auswirkung auf die Gesundheit offen gesprochen werden kann. Prävention gelingt nur, wenn man das Unsichtbare sichtbar macht.
A+A: Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft blicken, welche Vision haben Sie für den Arbeitsschutz in Deutschland und welche Rolle wird die DGUV darin spielen?
Dr. Stephan Fasshauer: Unsere Vision ist ein Arbeitsschutz, der nicht hinterherläuft, sondern vorausdenkt. In zehn Jahren sehe ich Betriebe, in denen Sicherheit und Gesundheit selbstverständlich in alle Prozesse integriert sind – digital gestützt, aber menschlich geprägt. Die DGUV wird dabei Impulsgeberin, Brückenbauerin und Gestalterin sein: zwischen Innovation und Praxis, zwischen Wirtschaft und Politik, zwischen Mensch und Technik. Unser Ziel bleibt klar: Arbeit so zu gestalten, dass sie nicht krank, sondern Menschen stark macht. Das ist die Zukunft, für die wir in der gesetzlichen Unfallversicherung arbeiten.
Arbeitsschutz befindet sich an einer Schwelle: zwischen Tradition und Disruption, zwischen analogen Gefahren und digitalen Möglichkeiten. Die DGUV macht deutlich, dass sie diesen Wandel aktiv begleitet, ob bei smarter PSA, beim Einsatz von KI oder bei der wachsenden Bedeutung psychischer Belastungen. Die Vision ist klar: Arbeitsschutz von morgen ist ein intelligentes, flexibles und ganzheitliches System. Er schützt nicht nur vor Unfällen, sondern unterstützt gesunde, resiliente und zukunftsfähige Arbeitswelten mit passgenauen Empfehlungen für Unternehmen.
Die A+A 2025 ist die Plattform, auf der diese Vision greifbar wird und Impulse liefert, wie Arbeitsschutz im nächsten Jahrzehnt gestaltet werden kann.