Der Markt für Exoskelette wächst. Nach Einschätzung von Marktforschungsinstitut Frost & Sullivan 2021 wird der Markt für Industriexoskelette in den kommenden Jahren eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von über 40% erleben und bis 2025 ein Marktvolumen von über 400M$ erreichen.
Eine vielfältige Welt unterstützender Lösungen
Die Welt dieser physischen Assistenten ist sehr vielfältig geworden. Diverse „Schmerzpunkte“ und Risikozonen werden durch Exoskelette und Softsuits entlastet oder unterstützt. Im Mittelpunkt stehen die beiden relevantesten Körperzonen für Beschwerden bei körperlicher Arbeit: Rücken und Schultern. Leichte textile Strukturen wie von Hunic, aber auch passive Exoskelett Systeme wie von Laevo, OttoBock, Innophys, ErgoSante und Auxivo entlasten die Lendenwirbelsäule bei diversen Tätigkeiten. Bei aktiven Systemen auch bereits mit Möglichkeiten für Datenschnittstellen ist insbesondere GermanBionics ein Anbieter. Die gute Nachricht: die Vielfältigkeit der Lösungen erlaubt eine deutlich bessere Passfähigkeit in Bezug auf die Buntheit der Tätigkeiten in Handwerksbetrieben, Mittelständlern und in Konzernen als noch vor z.B. drei Jahren. Für die Entlastung der Schultern stehen ebenfalls diverse passive Exoskelette wie von
OttoBock, Comau, Ergosante und Skelex zur Verfügung. Der Bedarf an Lösungen für Menschen an deren Arbeitsplätzen weder durch technische Umbauten und organisatorische Veränderungen eine Verbesserung des Arbeitsumfelds möglich ist, ist groß. Daher gibt es ebenfalls Produkte für Daumen, Handgelenke, Ellenbogen diverser Hersteller weltweit. Hier werden auch Prinzipien etablierter orthetischer Versorgungen genutzt. Bioservo unterstützt die Handkraft, die in diversen stark beanspruchenden Tätigkeiten das schwächste Glied in der Kette ist. Welche Exoskelette gibt es? Wie schneiden sie in Studien ab? Wo kann ich bei Arbeiten mit Exoskeletten zuschauen? Wo kann ich sie an Arbeitsplätzen erproben? Wo ist der Fachkongress zum Thema?
Dies alles werden Sie auf der A+A in einer Kooperation von Fraunhofer IPA und Universität Stuttgart IFF, dem Weltverband für Exoskelette WEARRA mit A+A und dem BASI-Kongress erleben. In Halle 5 erwartet Sie der „ExoPark“: ein großer internationaler Gemeinschaftsstand von Exoskelett Vertreibern. Diese ermöglichen Ihnen auf überschaubarer Fläche viele verschiedene Systeme kennenzulernen und sogar an realistischen Arbeitsvorrichtungen selbst zu erproben, die von Fraunhofer IPA und Universität Stuttgart IFF und Herstellern definiert und realisiert wurden.
Exoworkathlon®-Studie zum Zuschauen
Diverse Studien konnten bisher mittels Messung von Muskelaktivitäten und wirkenden Kräften die lokale Entlastung in den Zielregionen der eingesetzten Exoskelette nachweisen. Das Fraunhofer IPA und Universität Stuttgart Forschungsteam konnte in Exoworkathlon-Experimenten zeigen, dass bei sinnvoll eingesetzten kommerziellen Exoskeletten die subjektive Entlastung in über 80 Fällen um mehr als 20% angegeben wird. Diese subjektive Entlastung zeigt sich auch in den objektiv gemessenen Parameter der Muskelaktivität. Diese ist im Bereich des Rückens beispielsweise mit über 20% geringer beim Tragen eines Unterstützungssystems. Die Leistungsphysiologie-Studie des Teams zeigte die signifikante Kreislauf-Entlastung an über 50 Schweißern durch den Einsatz passiver Schulter Exoskelette. Physische Entlastung kann die Konzentrationsfähigkeit positiv beeinflussen. Das konnten Hamburger Forscher 2021 an Bauarbeitern zeigen. Diese Nachrichten sind großartig, denn damit können muskuloskelettale Erkrankungen in die Zukunft geschoben werden und die Lebensqualität schwer arbeitender Menschen erhöht werden. Die Menschen werden damit auch produktiver. Das ist relevant mitten im perspektivisch zunehmenden Fachkräftemangel. Zudem: ein Großteil schwerer Arbeitsunfälle geht mit nachlassender Konzentration einher. Dazu können demnach Exoskelette auch präventiv helfen.
Es gibt noch eine weitere aufregende Nachricht: manuelle Schweißnähte werden mit Exoskeletten um 10% besser. Das konnten wir mit der Schweißtechnischen Versuchsanstalt Hamburg nachweisen.
Gleich gegenüber des ExoParks findet die Exoworkathlon®-Studie von Fraunhofer IPA und Universität Stuttgart IFF mit jungen Werkern statt. An sogenannten Parcours, realistisch nachgebildeten Arbeitstätigkeiten, werden Exoskelette zur Unterstützung der oberen Extremität und des unteren Rückens auf Aspekte wie die Auswirkung auf Tätigkeitsdurchführung, Akzeptanz, subjektive Entlastung, sowie Qualitätskriterien der Arbeit erforscht. Dies ist weltweit mit bisher über 100 Probanden eine der größten laufenden prospektiven Exoskelett Studien. Wir planen in Düsseldorf eine live Durchführung von verschiedenen Parcours aus Bereichen mit schwerer körperlicher Arbeit wie Logistik und Montage mit jungen Arbeitsexperten aus den jeweiligen Branchen. Hierbei besteht die Möglichkeit mit Exoskelett-Herstellern, Anwendern und Wissenschaftlern ins Gespräch zu kommen, sich auszutauschen und Erfahrungen zu teilen.
Was geschieht in der Forschung? WearRAcon Europe Conference 2023 ebenfalls auf der A+A
Was sind die Langzeitfolgen von Exoskeletten? Dies ist anspruchsvoll zu erheben. Daher wäre es umso wichtiger, dass die mühsam erhobenen großen Studien von Ford USA und Toyota USA in Deutschland gelesen, analysiert und diskutiert würden. Das findet aus unbekannten Gründen nicht statt. Beide Konzerne konnten intern über mehrere Jahre die Krankheitskosten durch den Einsatz von Exoskeletten nachweislich senken. Geforscht wird intensiv an neuen Lösungen um den Match aus gefühlter Unterstützung, Tragekomfort und Alltagsflexibilität immer besser zu treffen. Statt in Stuttgart wird 2023 die WearRAcon Europe Konferenz in Düsseldorf während der A+A stattfinden, um die erfolgreiche Kooperation zwischen Fraunhofer IPA und der A+A weiter zu intensivieren. Diese englischsprachige Fachkonferenz für Exoskelette wird am 25. und 26. Oktober, synchronisiert mit dem BASI-Kongress und der GfA-Tagung, stattfinden. An zwei Tagen werden Marktbedarfe, Vorgaben, Technikforschung, Ergonomie und Gebrauchstauglichkeit von Exoskeletten spannend von Experten und prominenten Endanwendern aus ganz Europa beleuchtet. Viele Exoskelett Hersteller werden ebenso ihre Systeme dort in Vorträgen vorstellen. Für interessierte Besucher wird durch abgestimmte Programmplanung mit dem BASI-Kongress und der GfA-Tagung ein großes Wissensportfolio für Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Ergonomen, Arbeitnehmer und Forscher ermöglicht.
Exoskelette und die Sekundärprävention
Können Industrie Exoskelette denn auch bei bestehendem Rückenschmerz bei der Arbeit eingesetzt werden? Grundsätzlich sind die über einhundert am Markt verfügbaren Systeme zum Einsatz an Gesunden gedacht, also zur sogenannten Primärprävention. Einige Systeme sind auch explizit nur für Gesunde indiziert in der Gebrauchsanweisung. Es gilt das Prinzip „Reha vor Rente“ in Deutschland bei Arbeitnehmern jeden Alters. Daher drängt sich die Frage auf, ob in bestimmten Fällen (TOP Prinzip bitte immer beachten!) Arbeitnehmer von Exoskeletten profitieren können, die eine lokale Beanspruchung reduzieren. Die Frage ist neu, wir haben daher auf der Rehacare 2022 ein Symposium gehalten zum Thema „Berufliche Rehabilitation von morgen“ und mit den Besuchern der Messe genau dieses Thema diskutiert. Auf der nächsten Jahresversammlung der Inklusionsämter in Stuttgart werden wir dieses Thema weiterverfolgen und diskutieren, wie diese Systeme auch Menschen unterstützen können, die bereits unter körperlichen Beschwerden leiden. Auf der diesjährigen A+A werden wir, genau wie auf der Rehacare 2024, weitere Austauschmöglichkeiten schaffen. Urban Daub und seine Kollegen freuen sich auf konstruktive Diskussionen mit Ihnen.
Autoren: Dr. Urs Schneider, Bereichsleiter und Abteilungsleiter bei Fraunhofer IPA mit Urban Daub, Verena Kopp, Axel Storz alle Fraunhofer IPA